Am Montag abend gab es die Dortmunder Premiere incl. Sonderveranstaltung des Filmes Istanbul United im Cinestar.
Der Film ist bundesweit seit dem 18.09.2014 in den deutschen Kinos und zeigt die unterschiedlichen Fangruppen von Besiktas, Galatasaray und Fenerbahce Istanbul, die untereinander absolut verfeindet sind. Das Filmteam um die beiden Regisseure Olli Waldhauer und Farid Eslam begleitet drei führende Köpfe der jeweiligen Ultragruppierungen Carsi (Besiktas), UltrAslan (Galatasaray) und Vamos Bien (Fenerbahce).
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Besiktas Istanbul |
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Galatasaray Istanbul
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Fenerbahce Istanbul |
Alle drei "Hauptdarsteller" berichten aus ihrem Leben für ihren Verein.
Hierbei fällt auf, dass die Fankultur in der Türkei sehr viel krasser ist als in Deutschland.
Man gewinnt den Eindruck, dass sich das gesamte Leben um den Club dreht, dass dieser der Lebensinhalt der Protagonisten geworden ist. Der ganze Hass auf die verfeindeten Lokalrivalen wird deutlich.
Dieser geht von jugendlichen Mordgedanken bis hin zu tatsächlich stattgefundenen tödlichen Messerstechereien.
Das Filmteam begleitet die Anführer bis in die Fankurven und dokumentiert das Geschehen auf den Rängen.
Auch hierbei heftige Bilder und derbe Ausdrucksweisen ("Fick deine Mutter, Schwuchteln"), die in der deutschen Fankultur so nicht mehr vorhanden ist. Auffällig für mich, dass es die sonst übliche Uniformität der Ultras im türkischen Fußball nicht gibt. Dort wird ausschließlich das Trikot und die Vereinsfarben noch mit Stolz getragen. Und man fühlt sich, wenn man das Trikot seines Clubs trägt, verantwortlich für dessen Ansehen und Außendarstellung. Sehr eindrucksvoll.
Zwischendurch immer wieder eingeschnittene Bilder, gefilmt mit Handykameras von den Ausschreitungen im Gezi Park, einem 70 Jahre alten Park, der an den Taksim Platz, einem zentralen Verkehrsknotenpunkt im europäischem Teil Istanbuls, grenzt. Dieser liegt nur einen Steinwurf vom Inölü Stadion im Stadtteil Besiktas entfernt.
Der Park soll einer modernen shopping mall weichen, die Anwohner wehren sich und besetzen den Park. Die Polizei rückt an und geht brutal mit Tränengas und Wasserwerfern gegen friedliche Demonstranten vor. Es folgen Rückblendungen auf die Ultraführungspersönlichkeiten, die weiter aus ihrem Alltag berichten.
Zwischendurch spricht Erdogan, der türkische Staatspräsident, im Fernsehen zu seinen Anhängern und verhöhnt die Protestierer.
Er bezeichnet sie als Gesindel und Plünderer. Diese lassen sich nicht unterkriegen und intensivieren den Widerstand. Es folgen dramatische Aufnahmen von Auseinandersetzungen in den Gassen Istanbuls. Mitten im pulsierenden Nachtleben fahren die Wasserwerfer auf, nehmen weder Rücksicht auf Passanten beim Restaurantbesuch oder auf Hotelgäste in der Lobby. Es fliegen Tränengasgranaten durch die Luft und Wasserfontänen sogar bis in die Hotellobby hinein, wohin sich die Menschen flüchten. Verstörende Aufnahmen.
Irgendwann zeigt der Film den Führungszirkel der Gala Ultras, die während eines Basketballspiels zwischen Galatasaray und Fenerbahce in den Nachrichten die aufwühlenden Kampfszenen vom Taksim fassungslos beobachten. Man hört den Satz: "Wir müssen dahin!"
So beginnt die eigentliche Geschichte von Istanbul United....
Am Ende des Film Bilder vom Derby Besiktas gegen Galatasaray mit anschließendem Platzsturm der Besiktasfans.
Hier wird immer wieder: "Überall ist Taskim-Platz. Überall ist Widerstand" gebrüllt!
In der anschließenden Podiumsdiskussion mit Regisseur Olli Waldhauer werden Fragen gestellt.
Wie Olli auf die Idee kam den Film zu drehen?
Er berichtet wie er an einem Mittwoch abend in den Medien das Bild von den drei Fans der unterschiedlichen Fangruppen sieht und überlegt ob er als Kölner mit einem Gladbacher und Düsseldorfer gemeinsam in Trikots demonstrieren würde. Eigentlich unvorstellbar für einen FC Fan. Das war der erste Gedankenanstoß. Am Samstag morgen saß er dann mit Farid Eslam im Flieger nach Istanbul. Am nächsten Tag wurde gleich der türkische Kameramann verhaftet und 9 Stunden verhört. Anschließend hatte er kein Bock mehr und stieg aus.
Man fand einen neuen Kameramann und es ging weiter, immer mitten im Geschehen. So entstanden die Kontakte mit den drei Führungspersönlichkeiten der Clubs.
Was er zu den sexistischen und homophoben Aussagen im Film denn sagen würde und ob diese nicht zu verhindern gewesen wären?
Nein, waren sie nicht. Olli findet sie auch nicht toll und richtig, allerdings hat er nur dokumentiert. Zum anderen konnte er zum Drehzeitpunkt kein türkisch und wusste nicht was gesungen wurde. Erst bei der Übersetzungsarbeit wurde ihm klar was er da alles aufgezeichnet hatte.
Wie wurde der Film finanziert?
Einerseits crownfunding, anderseits hat er sein gesamtes Vermögen ins Projekt gesteckt und ist nun faktisch pleite.
Ob er noch Kontakt zu den Protagonisten hat?
Ja, hat er. Allerdings ist der Kontakt zu Güner, Chef der Carsi Gruppierung, sehr schwierig da dieser sich jeglicher modernen Kontaktaufnahme via Telefon, Handy, Whats app oder Facebook konsequent verweigert. Da hilft nur die persönliche Vorsprache. Deshalb plant Olli auch schon den nächsten Trip an den Bosporus.
Aktuell sind 35 Carsi Mitglieder wegen Putschversuch (!) angeklagt. Der Staatsanwalt fordert für alle Beteiligte lebenslänglich. Geplant ist zu Prozessbeginn eine Aktion mit Amnestie International um die Weltöffentlichkeit auf diesen Justizskandal aufmerksam zu machen.
Olli Waldhauer hofft übrigens, dass weitere Filme (es gibt schon Projekte) sich mit den Vorfällen am Taksim Platz beschäftigen und die Geschehnisse dort weit aus intensiver aufarbeiten werden, als er es getan hat.
Fazit: Der Abend hat sich auf jeden Fall gelohnt.
Der Film wühlt und regt auf, man sieht wüste Auseinandersetzungen, hört Schreie, sieht ganz normale Menschen wie du und ich, die sich gegen die staatliche Willkür und das autoritäre Regime Erdogans wehren, Jagdszenen auf gegnerische Fans durch die Straßen Istanbuls, lauscht geschockt den Berichten von mehreren Toten...
Teilweise ist privates Material in entsprechend schlechter Qualität und unruhiger Kameraführung eingefügt worden, die die Dramatik noch steigern. Der Film ist sehr emotional anzuschauen. Manchmal gibt es auch Momente zum Lachen und Schmunzeln, wenn zum Beispiel Tausende Fußballfans zum Gezi Park marschieren und dabei in Anlehnung zu Erdogans abfälligen Bemerkungen rufen:
" Hurra, hurra die Plünderer sind da!"
Oder wenn die Kamera einen Fan zeigt, der den Polizeinotruf wählt und eine Vermisstenanzeige aufgibt. "Was denn vermisst würde?" ist die Frage. Die Antwort: "Das Tränengas! Man wäre jetzt auf dem Taksim und wartete schon seit Stunden auf den Einsatz des Tränengases"
Leider war die Vorstellung nicht ausverkauft und für mich sehr überraschend, waren nur sehr wenige türkische Zuschauer im Kinosaal anwesend. Gerade weil die Istanbuler Vereine sich auch in Deutschland und speziell im Ruhrgebiet größer Beliebtheit unter den türkisch stämmigen Einwohnern erfreuen, war das fehlende Interesse für mich ziemlich enttäuschend.
Vor uns saßen vier junge türkische Damen, die sich erst einmal bei uns darüber informierten, "was da überhaupt für ein Film gezeigt werde? Und warum so viele Deutsche da wären?"
Nichtsdestotrotz waren einige bekannte Gesichter der Dortmunder Fanszene zugegen, wie das Fanprojekt mit Thilo Danielsmeyer und Davud Mohammed, die Fanbeauftragten des BVB Petra Stücker, Jens Volke und Daniel Lörcher und einige Ultras und nicht zuletzt Kevin Großkreutz.
http://www.istanbulunitedthemovie.com/
Nachtrag:
Wer sich neulich beim Heimspiel des BVB gegen Freiburg über die türkischen Spruchbänder auf der Süd gewundert haben sollte....
Es waren Solidaritätsbekundungen der Dortmunder Ultras an die angeklagten Carsi Ultras.